Keine Angst – hier ist nicht die Rede von Schwefelsäure (obwohl man einen solchen „Cocktail“ dem einen oder anderen aufsässigen Gast vielleicht gerne kredenzen würde…), sondern von einer sauren Zutat, die Bestandteil einer Vielzahl von Cocktails ist und die meist dazu dient, den Geschmack süßer Zutaten auszubalancieren.
Dabei handelt es sich in aller Regel um Zitronensäure, und zwar in Form von Saft aus Zitronen oder Limetten. In geringerem Umfang enthalten jedoch praktisch alle Zitrusfrüchte auch Zitronensäure (daher kommt ja wohl auch der Name…), also auch Orangen, Grapefruit usw., wenngleich die Säure hier vom Fruchtzucker größtenteils verdeckt wird, zumindest wenn die Früchte reif sind. Essig als Zutat zu Cocktails, wie es die früher ebenfalls recht beliebten Shrubs erforderten, spielt heute dagegen in der Welt der Cocktails fast keine Rolle mehr.
Als der Cocktail jedoch das Licht der Welt erblickte, war von Zitronensaft & Co. überhaupt nicht die Rede, unter einem „Cocktail“ verstand man ursprünglich ein Mixgetränk aus einer Spirituose, Zucker, Wasser und Bitters.
Freilich erfreuten sich durstige Seelen schon viel früher, nämlich im 18. Jahrhundert, an Getränken mit Zitronensaft: Es waren die Punsche, die sich damals vor allem bei Gesellschaften größter Beliebtheit erfreuten. Diese wurden vom Hausherrn oder noch häufiger von Bediensteten aus einer Spirituose oder einem Wein unter Zusatz von Zucker, Wasser und Zitronensaft und meist weiteren aromatisierenden Zutaten in größerer Menge hergestellt und dann aus einer Art Bowlenglas geschöpft. Der berühmte „Professor“ Jerry Thomas nennt in seinem 1862 erschienenen Standardwerk „Bartenders Guide – How to mix Drinks“ nicht weniger als gut 80 verschiedene Punsche!
Doch genau derselbe Jerry Thomas nennt auch eine Vielzahl von Rezepten für Sours, Fixes und Daisies, die allesamt Zitronen- oder Limettensaft enthalten – eine wahre Pioniertat, wenn man bedenkt, daß diese Südfrüchte früher keineswegs eine allenthalben verfügbare Alltäglichkeit waren, wie dies heute der Fall ist!
Zitronensaft ist der am häufigsten verwendete Säuregeber für Mixgetränke und Cocktails. Zitronen sind günstig zu haben, und ihr Saft hat einen pH-Wert von etwa 2,3, also weniger als beim Limettensaft, weshalb tendenziell mehr davon verwendet werden muß. Zitronensaft hat ein eher zurückhaltendes Aroma und paart sich deswegen ganz hervorragend mit fast allen anderen Zutaten eines Mixgetränks und gilt somit unangefochten als der Alleskönner unter den Säften!
Im Gegensatz dazu sind Limetten etwas teurer und oft auch schwieriger zu haben, Limettensaft enthält bei einem pH-Wert von ungefähr 1,8 mehr Säure als der Zitronensaft. Er verfügt über einen deutlicheren Eigengeschmack und eine leichte Bitterkeit, weswegen er den Geschmack eines Mixgetränks auch in geringeren Mengen deutlicher beeinflusst als der Zitronensaft. Deshalb ist bei seiner Verwendung größere Vorsicht angebracht, wobei freilich nicht wenige Drinks ihren speziellen Charakter hauptsächlich aus dem Limettensaft beziehen – man denke nur an den Cuba Libre oder den Caipirinha!
Orangensaft mit seinem pH-Wert von 3,5 gibt einem Drink nur dann ein bemerkbares Maß an Säure mit, wenn er in größeren Mengen verwendet wird, da frisch gepresster Orangensaft mit mehr als 100 Gramm Zucker pro Liter dem Mixgetränk eher Süße als Säure mitteilt (dasselbe gilt für Apfelsaft, der ebenfalls über einen pH-Wert von 3,5 verfügt). Ein gutes Beispiel für die Wirkung von Orangensaft auf den Geschmack eines Drinks ist der Blood and Sand, in welchem sich dieser Saft mit Scotch Whisky, Cherry Brandy und süßem Vermouth zu einer perfekten Geschmackskomposition zusammenfinden.
Grapefruitsaft hat einen pH-Wert von 3,0 und ist Bestandteil vor allem von etlichen Tiki-Drinks, ist aber wegen der ihm eigenen Bitterkeit heute als Zutat zu Cocktails eher weniger häufig zu finden. Etwas weniger bitter ist der so genannte Pink Grapefruitsaft, der zum Beispiel im Papa Doble Daiquiri eine prominente Rolle spielt. Gerne wird er auch als Begleiter zum Campari verwendet, dessen Bitterkeit durch den Pink Grapefruitsaft sogar abgemildert wird.
Zitronen- und Limettensaft haben (wie alle anderen Fruchtsäfte ebenfalls) freilich leider den Nachteil, daß sie schnell oxidieren und somit verderben, grundsätzlich sollte also stets frisch gepresster Saft verwendet werden – in Flaschen erhältlicher Zitronen- und Limettensaft sind nur ein notdürftiger Ersatz für frischen Saft!
Grundsätzlich dient die Säure dazu, die Süße eines Cocktails abzumildern und in ein Gesamtgeschmacksbild mit den alkoholischen Zutaten einzubinden. Die Säure gibt einem Drink zugleich eine leichtere Textur und hebt den Geschmack, indem es ihm eine zusätzliche Komponente hinzufügt und ihn sozusagen „palatabel“ macht. Gleichzeitig verführt sie den Genießer dazu, weniger schnell genug vom Drink zu haben, da die sonst womöglich aufdringliche Süße oder überbordender Alkohol eher abschrecken würden. Letztendlich verleiht Säure einem Drink jene Harmonie und Balance, die einen wirklich guten Cocktail ausmacht, und der gerade richtige Anteil an Säure eines Drinks beweist, daß der Bartender seinen Job versteht!
In diesem Sinne: Ein frohes Zwischenprost!